Ein Ausflug ins „Neue Frankfurt“

Das Neue Frankfurt ist nicht so neu: Zwischen 1925 und 1930 wurden für die notleidende Frankfurter Bevölkerung tausende neue Wohnungen errichtet, geplant unter Oberbürgermeister Ludwig Landmann von einem Stab um den 1925 zum Stadtbaurat ernannten Architekten Ernst May.

Frankfurter Stadtwappen Bauhausstyle
Stadtwappen Frankfurt, Bauhausstyle

Insgesamt 26 Siedlungen sollten in den damaligen Außenbezirken der Stadt entstehen, nach neuesten architektonischen und technologischen Erkenntnissen. Erklärtes Ziel war, mit beschränkten kommunalen Mitteln möglichst vielen Menschen eine menschenwürdige Behausung zu schaffen. Das extrem ehrgeizige Projekt versammelte führende Köpfe der klassischen Moderne, darunter auch heute noch so bekannte Namen wie Walter Gropius, Margarethe Schütte-Lihotzky und Bruno Taut.

Letzterer war selbst federführend an einem vergleichbaren (weil aus einer gleichartigen Notlage entstandenen) Projekt in Berlin beteiligt, der Hufeisensiedlung. Sie genießt heute den Status als Weltkulturerbe. Vergangenes Jahr konnten meine Frau und ich dort einige Tage in einem „bewohnbaren Museum“ verbringen: Eines der Siedlungshäuser wurde von den Eigentümern aufwändig originalgetreu restauriert und wird seither als Ferienwohnung an interessierte Gäste vermietet. Unser Aufenthalt war eine Zeitreise. Wir hatten das Gefühl, unmittelbar in die späten zwanziger Jahre einzutauchen.

Seltsamerweise stellte ich mir damals nicht die Frage nach vergleichbaren Bestrebungen in anderen Städten, etwa meinem Geburtsort Frankfurt. Dabei hätte sie nahe gelegen: Bis zur Gründung von „Groß-Berlin“ im Jahr 1922 war Frankfurt die flächenmäßig größte Stadt im Deutschen Reich und hatte mit Berlin vergleichbare Probleme, Arbeitslosigkeit, Verelendung, Wohnungsnot. Tatsächlich sind auch die Lösungswege vergleichbar, die in beiden Städten beschritten wurden.

Ende April unternahmen wir einen Ausflug in zwei der bestehenden Siedlungen des „Neuen Frankfurt“: die Römerstadt und die Hellerhofsiedlung. Von Mainz aus ein bisschen näher als Berlin… Trotz der unterschiedlichen Entwicklung der Siedlungen in Berlin und Frankfurt in den vergangenen neunzig Jahren ist die gemeinsame ideelle Grundlage deutlich sicht- und spürbar.

Hier einige Aufnahmen aus einem der Einfamilien-Reihenhäuser in der Römerstadt, dem Ernst-May-Haus. Es wurde von der ebenfalls nach May benannten Gesellschaft restauriert und ist als Museumshaus auch von innen zu besichtigen – für uns natürlich eine schöne Gelegenheit, einen Vergleich mit dem „Tauten Heim“ in der Hufeisensiedlung zu ziehen.

Viele Häuser der Siedlung Römerstadt werden übrigens noch von Nachkommen der ersten Mieter bewohnt; die zuständige städtische Wohnungsbaugesellschaft hält sich noch immer an die mit den Erstmietern geschlossenen Erbmietverträge. Auch dies ein Unterschied zur Berliner Hufeisensiedlung.

Die einst in alle Häuser der Siedlung Römerstadt eingebaute, weitgehend restaurierte „Frankfurter Küche“ der Architektin M. Schütte-Lihotzky:

Was mich bei dem Besuch in Frankfurt ebenso berührte wie ein halbes Jahr zuvor in Berlin, konnte ich zunächst nicht in Worte fassen, dabei ist es im Grunde einfach: Die Häuser und Siedlungen des „Neuen Frankfurt“ faszinieren wie jene der Hufeisensiedlung  durch die Konsequenz, mit der ein über das rein Architektonische hinaus weisender, umfassender Ansatz für Wege aus dem damaligen Massenelend gesucht wurde.

Nach nur fünf Jahren, im Jahr 1930, gab die Stadt ihr Projekt „Neues Frankfurt“ infolge der Weltwirtschaftskrise wieder auf. Von den geplanten 26 Siedlungen wurden nur 12 verwirklicht. Statt für 20000 Menschen und mehr konnte bloß für etwa 10000 neuer Wohnraum geschaffen werden. Die ursprüngliche Zielgruppe, die Arbeiterschaft, brachte in der Krise zudem die geforderten Mieten nicht auf. So wurden viele der Siedlungswohnungen an Angestellte und Beamte vergeben, die Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre ebenfalls mit wirtschaftlicher Not zu kämpfen hatten. Auch dies ist mit der Entwicklung vergleichbar, die während der Weltwirtschaftskrise in Berlin stattfand.

Die nichtproletarischen Bewohner werden in diesen Krisenzeiten ebenso froh über die großzügigen Gärten gewesen sein wie ihre Nachbarn aus der Arbeiterschaft, hatten die Planer sie doch so bemessen, dass sie als Nutzgärten spürbar zur Versorgung jeder einzelnen Familie beitragen konnten – eine weitere Gemeinsamkeit mit Bruno Tauts Siedlungen in Berlin.

Gärten wie der hier gezeigte gehören bis heute zu jedem der Reihenhäuser in der Römerstadt. Das relativiert die für heutige Verhältnisse sehr bescheidene Anmutung der Siedlungsbauten beträchtlich: denn wer kann sich heute – mitten in Frankfurt – eines eigenen Gartens dieser Größe erfreuen?

Garten hinter dem Ernst-May-Haus

 

Bilder aus dem Ernst-May-Haus und von der Römerstadt:

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