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Bildergalerie

Über den Wandel der Fotografie

Bahnhof

Die Kapitel:

1. Fotografie: Dokumentation, Kontrolle, Kunst

2. Zeigt eine TIFF-Datei dasselbe wie ein Dia?

3. Wird die alte Fotografie aussterben?

4. Digitalfotografie und die Veränderungen der Fotografie
(in Arbeit)




Worum es hier geht:



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Areal im Plattenwerk Dresden


3. Wird die alte Fotografie aussterben?


Systemvergleich

Kein Zweifel, dass die Vorteile der Digitalfotografie überwiegen. Die herkömmliche Fotografie wird vermutlich dennoch nicht direkt aussterben. Dafür ist sie viel zu elaboriert, zeitigt viel zu viele großartige Ergebnisse, sind viel zu viele Kameras im Umlauf, die ja erst einmal noch funktionieren. Und die Bildaufzeichnungsgeräte, die den Käufermassen statt der bisherigen Kameras angeboten werden, sind vorläufig noch erstaunlich teuer und vergleichsweise schlecht. (Selbstverständlich sind sie sehr billig, gemessen am enormen technologischen und materiellen Aufwand, der für eine Digicam betrieben werden muss.)
Teure, von zusätzlicher teurer Hardware abhängige Bildaufzeichnungsgeräte, die heute, 2004, immer noch nicht ganz die Bildqualität gewährleisten, die eine hochwertige (!) herkömmliche Ausrüstung bietet, versus langsamere und schwerer zu bearbeitende Technologie, die jedoch, sind die Aufnahmen erst entwickelt, zur Präsentation kein ausgefeiltes technologisches Umfeld benötigt: so lässt sich zurzeit ein Vergleich der unterschiedlichen Bildherstellungs-Systeme noch ziehen. Eventuell bis auf die Diaprojektion (die freilich ebenfalls zusätzliches Equipment und den Anschluss ans Stromnetz benötigt) wird die herkömmliche Fotografie aber weiter an Boden verlieren.

Willkommen im Club der Teufel


Qualitätsansprüche

Wer das Erstaunen kennen gelernt hat, das der Abzug eines Großformat-Negativs zu wecken vermag, wer den Reichtum an Tonwerten, die Schärfe, die Dichte, die Brillianz, die Zeichnung – die erschreckende Präsenz auf großformatigen Negativen beruhender Fotografien erlebt hat, ist womöglich sowohl für Digitalfotografie als auch für kleine Negativformate nicht mehr recht zu begeistern. Diese Erfahrung machen aber nur wenige, weil die berühmtesten Fotografien und die inhaltlich besten Bilder eher nicht mit Großformattechnik erstellt wurden. Meist ist das Gegenteil der Fall: Fotografie verzichtet zugunsten oft nur vermeintlicher Authentizität gern auf technische Qualität, ja wir sind gewohnt, unscharfe, fehlbelichtete, verwackelte Aufnahmen als besonders authentisch zu betrachten. Die Erfordernisse der Pressefotografie brachten es mit sich, dass möglichst unkomplizierte Filmformate zum Einsatz kamen. In den USA waren das zunächst "kleine" Großformate von 4x5" (Weegee mit der Graflex) und später der Kleinbildfilm (die Nikon-bewehrten Pressefotografen seit dem Koreakrieg). In Europa war vor dem Kleinbild- eher der Mittelformatfilm das Handwerkszeug der Fotojournalisten. Ungezählte Rolleiflex- und Rolleicord- Fotografen wechselten allmählich zur Leica, bevor sie sich ebenfalls dem Komfort meist japanischer Spiegelreflex-Technologie hingaben. Der Qualitätsverlust, der damit einher ging, wurde kompensiert durch neue Technologien, immer besseres Filmmaterial und den Anwendungsbereich: Tageszeitungen brauchten aktuelle Bilder, nicht aber technisch hochwertige, die ließen sich nämlich gar nicht angemessen drucken. (Hochglanz-Illustrierte und Modemagazine hingegen gewährten der Kleinbild-Fotografie erst sehr spät Einlass.) Diese im Journalismus sinnvolle Beschränkung der Qualität zugunsten der Schnelligkeit beeinflusste unser fotografisches Sehen. Wir lernten Fotografien als kleine Bildchen oder grobe, ebenfalls kleine Rasterdrucke auf schlechtem Zeitungspapier kennen und akzeptieren. Oder als ausschließlich für Familienmitglieder interessante, formal und ästhetisch langweilig fotografierte, schlecht verarbeitete 10x15-Abzüge von Aufnahmen unserer Lieben. Da macht es nichts, wenn die Aufnahme schlecht, die Verarbeitung lieblos und die Präsentation uninspiriert ist – der "weißt-du-noch-", der Nostalgieeffekt ist stärker. Und das ist ja auch gut so. Aber es hat dazu geführt, dass wir an fotografische Bilder eigentlich keine hohen Qualitätsansprüche stellen. Sonst hätte es die Digitalfotografie derzeit auch noch deutlich schwerer.

IdyllPlattenbausiedlungalltäglicher Verfall


Blick in die Glaskugel

Auch wenn immer weniger Hersteller Fotomaterial anbieten werden, die echten Fans werden sich sicher zu helfen wissen: mit Chemikalien aus der Apotheke und alchimistisch anmutenden Zusammenkünften, wie denn Papiere zu behandeln seien, damit sie die "beste" Abbildungsqualität erzielen. Geschätzte zweihundert Jahre nach Nicéphore Nièpce werden seine orthodoxeren Jünger vielleicht wieder da ankommen, wo er begann: bei Fotografie als individuell- unstandardisiertem Trial- and- Error für Fanatiker und Gutbetuchte, ganz dialektisch auf weit höherem Niveau als ihr Ahnherr. Die meisten Menschen werden digital Bilder machen, die den bereits etablierten, und das heißt: niedrigen Qualitätsstandards Genüge tun und die dieselben Motive zeigen wie seit der Kodak Box Camera. Der Wahlspruch Kodaks wird auch im digitalen Zeitalter aktuell bleiben: "You press the button – we do the rest".
Zwischen diesen Extremen werden interessierte Amateure die Nachfolge der Fotoamateure von einst antreten. Nur dass die kreativen Ausdrucksformen dieser Digitalbildbearbeiter vermutlich ebenso sehr an die der Malerei gemahnen werden wie an klassische Fotografie. Denn sämtliche Freiheiten des Malers gegenüber seinem Sujet auf der Leinwand hat der Digitalfotograf nun auch gegenüber seinem "Foto" am Computer. Und das ist in der Tat eine neue Entwicklung, deren Tragweite uns heute noch nicht so recht bewusst ist. Nur – wie lange wird das bisherige Verständnis davon, was eine Fotografie sei, wohl unverändert bleiben, wenn die Grundlagen der Bildherstellung aktuell einem so revolutionären Wandel unterliegen wie seit der Erfindung der Fotografie nicht mehr?

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